A. Salathé: Robert und Karl Walsers Briefwechsel

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Titel
Man muss nicht hinter alle Geheimnisse kommen wollen. Robert und Karl Walsers Briefwechsel mit dem Verlag Huber Frauenfeld (1916-1922) samt einer Biografie von Verleger Walther Lohmeyer (1890-1951)


Autor(en)
Salathé, André
Reihe
Thurgauer Beiträge zur Geschichte 150
Erschienen
Frauenfeld 2013: Verlag des Historischen Vereins des Kantons Thurgau
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Stocker

Die Bedeutung von Verlagsarchiven für die historischen Wissenschaften steht ausser Frage und findet in der Akquisitionspolitik nationaler Literaturarchive ihre Bestätigung. Eine wichtige Rolle kommt aber auch regionalen Archiven zu. Dem Staatsarchiv Thurgau ist es gelungen, das Archiv des Buchverlags Huber zu sichern. Der Frauenfelder Huber-Verlag, 1809 gegründet, eng mit einem Zeitungsverlag und einer Akzidenzdruckerei verbunden, entwickelte ab den 1870er Jahren neben dem Sachbuchprogramm auch ein literarisches Programmsegment; er hatte eine beträchtliche Produktion, seine Reichweite blieb im wesentlichen auf die Schweiz beschränkt; er wird heute nur noch als Imprint von Orell Füssli geführt. Zu seiner Geschichte gibt es bisher keine Forschungsbeiträge. Das Huber-Archiv ist in breiter Form überliefert und enthält neben einer grossen, bis in die 1850er Jahre zurückreichenden Belegexemplarsammlung und einer ebenfalls umfassenden Rezensionensammlung auch Geschäftsführungs- und Buchhaltungsunterlagen, allgemeine Verlagskorrespondenz, Autorendossiers sowie Dokumente zu Herstellung und Vertrieb (vgl. dazu www.staatsarchiv.tg.ch).

Die vorliegende Publikation widmet sich erstens der Korrespondenz des Verlags mit Robert Walser (1878–1956) als dem bedeutendsten Autor des Verlags sowie mit dessen Bruder Karl, der als Buchgestalter arbeitete. Von Walser erschienen bei Huber 1917 die Erzählung Der Spaziergang sowie eine seiner Kurzprosasammlungen (Poetenleben, Impressum: «1918»). Das über hundert Dokumente umfassende Korrespondenzmaterial, bestehend aus Briefen, Postkarten, Telegrammen und Vertragsbeilagen, war bisher nur rudimentär bekannt (vgl. Robert Walser: Briefe. Hg. von Jörg Schäfer und Robert Mächler. Genf: Kossodo 1975, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979). Zweitens wird die Rolle des von 1916 bis 1918 für das Programm des Buchverlags verantwortlichen Walther Lohmeyer (1890–1951) behandelt.

Die Edition der Briefe zeigt auf faszinierende Weise, wie sehr sich der Verlag um den in der Literaturszene angesehenen Autor bemühte und wie sehr anderseits Walser, der gleichzeitig Geschäftsbeziehungen zu zwei weiteren Schweizer Verlagen unterhielt (zu dem aufsteigenden Rascher-Verlag in Zürich und zu dem auf Berner Dialektliteratur spezialisierten Francke-Verlag in Bern) energisch seine Interessen vertrat. Die Beziehung gestaltete sich nicht konfliktfrei. In der Frage der Drucktype etwa vertrat Walser als Anhänger der Fraktur bemerkenswerterweise eine konservativere Haltung als der Verlag, der für Antiqua eintrat. Aus der Korrespondenz wird auch deutlich, dass die Brüder Walser damals in keinem besonders harmonischen Verhältnis zueinander standen. Für Robert war schwer zu verkraften, dass die Verlage seine Texte gleichsam nur «im Doppelpaket» mit den Illustrationen seines Bruders zu vermarkten gewillt waren. Geradezu sensationell ist ein Brief, der ein detailliertes Konzept zu einem grandios dimensionierten Buchprojekt enthält, das Walser dem Verlag unter dem Titel Studien und Novellen vorschlug.

Aus editorischer Sicht ist hervorzuheben, dass die komplizierte Überlieferung des Korpus – mit doppelten Textzeugen – gründlich aufgearbeitet und nachvollziehbar dargestellt wird. Die Bevorzugung der Typoskript-Presskopien («copie de lettres») gegenüber den Durchschlägen als Textvorlage ist zweifellos eine richtige Entscheidung. Autortext und Herausgebertext sind mit der wünschenswerten Deutlichkeit getrennt. Auf Modernisierungen und auf Normalisierungen der Schreibweisen wird, wie in jüngeren Briefeditionen üblich, verzichtet. Die Transkriptionen sind allerdings nicht ganz fehlerfrei; störende Fehler treten aber nur vereinzelt auf (Brief Nr. 79: «Ihnen Herrn …» statt «Ihrem Herrn …», «Bestimmungslosigkeit » statt «Besinnungslosigkeit», «ist durchaus mehr» statt «ist durchaus wahr», «gestimmt» statt «gesinnt».) Zu korrigieren ist auch die Bestimmung von zwei nachträglichen Textergänzungen Walsers in Brief Nr. 40 als Eintragungen «von anderer Hand».

Der etwa hundertseitige Editionsteil wird eingerahmt durch eine Einführung und einen Anhang. In der ausserordentlich informativen Einführung wird zunächst das edierte Material mit sicherem Blick für die wesentlichen Punkte ausgewertet und eingeordnet. Hervorzuheben ist besonders der Nachweis einer Gesamtauflage von 11 600 Exemplaren für den Spaziergang (S. 19–20). Damit «avanciert» dieses Bändchen zu Walsers erfolgreichster Publikation – das war bisher nicht bekannt. Dann wird in einem etwas breiter angelegten Teil die exemplarische Verlegerbiographie Walther Lohmeyers pionierartig aufgearbeitet. Der junge Lohmeyer stiess in einer heiklen Phase zum Buchverlag Huber & Co. und machte sich dort sofort nützlich. Die literarhistorisch bedeutende Reihe der Schweizerischen Erzähler war sein Verdienst. Lohmeyer arbeitete später, nach einem Zwischenspiel bei der Basler National-Zeitung, als Geschäftsführer des von ihm mitbegründeten Rhein-Verlags (1920–1929). Er besass einen ausgeprägten verlegerischen Instinkt und war gut vernetzt. Aufschlussreich im Hinblick auf die Situation des damaligen schweizerischen Literaturbetriebs ist seine Korrespondenz mit dem Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Robert Faesi (vgl. bes. S. 49–50). Eine interessante Spur, der es sich noch weiter nachzugehen lohnte, führt zum einflussreichen Literaturkritiker der Neuen Zürcher Zeitung Eduard Korrodi (S. 41–42). Im Anhang finden sich u. a. Listen zum Versand von Rezensionsexemplaren (mit Nachweis erschienener Rezensionen) und Rezensionen der (natürlich von Huber verlegten!) Thurgauer Zeitung zu den beiden «Huber-Büchern» Robert Walsers.

Trotz der kleinen Kritik an den Transkriptionen – es ist ein rundum geglücktes und schön gestaltetes Buch! Der Walser-Forschung bringt es neue Erkenntnisse und Forschungsfragen. Zur Aufarbeitung der schweizerischen Buchverlagsgeschichte leistet es einen vorbildlichen Beitrag.

Zitierweise:
Peter Stocker: Rezension zu: André Salathé, «Man muss nicht hinter alle Geheimnisse kommen wollen.» Robert und Karl Walsers Briefwechsel mit dem Verlag Huber Frauenfeld (1916–1922) samt einer Biografie von Verleger Walther Lohmeyer (1890–1951), Frauenfeld: Verlag des Historischen Vereins des Kantons Thurgau, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 3, 2014, S. 515-516.

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Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 3, 2014, S. 515-516.

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